Die Bedeutung der Einzigartigkeit für die Gestaltung von Place Brands
Mit dem Wärschtlamo über die längste Seilhängebrücke der Welt ins Opernhaus
„Wir haben nichts, nicht mal Stau.“ So lässt sich die Positionierung mancher Place Brand (Stadt- oder Regionenmarke) zusammenfassen, wenn sie mit Sprüchen werben wie beispielhaft: „Mehr Zeit für die Familie – ein Leben ohne Stau in unserer schönen Stadt.“ Place Brands suchen nach Möglichkeiten, sich von anderen zu unterscheiden, weil sie auf diese Weise hoffen, Relevanz bei ihren Stakeholdern zu erzeugen. Dabei wird häufig versucht, die eigene Marke von anderen Place Brands abzugrenzen, indem deren Nachteile aufgezeigt werden. Diese sog. Defizit-Kommunikation birgt nicht nur einige Risiken, vielmehr legt sie einen zentralen Fehler in der Markenführung offen: Die Zielgruppe wird nicht klar definiert und erst recht nicht verstanden. Ist es für einen Münchner lebensentscheidungsrelevant, dass er häufig im Stau steht? In der Regel: Nein, da es seinen Kollegen (= Soziale Referenzgruppe) nicht anders geht.
Vielmehr werden durch die o.g. Defizit-Kommunikation kognitive Dissonanzen ausgelöst („Die Zeit mit meiner Familie ist mir doch wichtig, warum stehe ich dann lieber im Stau, als bei ihr zu sein?“), die dann zu verhaltensbestärkenden Kognitionen umgedeutet werden („Die Stadt ist so großartig – meine Familie und ich können hier viele großartige Dinge erleben, deshalb nehme ich den Stau auch für meine Familie in Kauf.“).
Anstatt sich also auf die Defizite anderer Place Brands zu konzentrieren, sollte der Blick auf die eigenen Stärken gerichtet werden – und vor allem auf das, was die eigene Place Brand besonders und damit erinnerungswürdig macht.
Die (vergebliche) Suche nach Einzigartigkeit
„Was macht unsere Stadt einzigartig?“ Diese Frage stellen sich viele Marketer, wenn es darangeht, eine Place Brand strategisch aufzustellen. Es ist intuitiv richtig, nach diesen Points of Distinction zu suchen, denn diese haben eine wichtige Funktion für die Merkfähigkeit: Sie helfen uns, Marken voneinander zu unterscheiden und weitere markenkonforme Assoziationen mit ihnen zu verknüpfen.
Unsere Untersuchungen zeigen, wie schwer es ist, genau diese Einzigartigkeit in Place Brands zu finden. Selbst wenn sie gefunden wird, hat sie für Externe selten einen besonderen Nutzen: Oder würden Sie nach Kulmbach ziehen, weil dort das größte Zinnfigurenmuseum der Welt zu finden ist (Zinnfigurenenthusiasten ausgenommen) oder es dort Bier gibt? Nein, Sie werden vielleicht dort hinziehen, weil es neben einem attraktiven Arbeitgeber ein rundes Gesamtpaket aus Freizeitwert und anderen Faktoren gibt.
Nur einzelne Punkte einer Place Brand sind wirklich einzigartig. Und das teilweise nur in Abgrenzung zu anderen Marken (Beste / größte / älteste usw. Oberfrankens, Bayerns, Deutschlands...). In einer qualitativen Studie zu diesem Thema erläuterte ein Interviewpartner die Bedeutung der Einzigartigkeit auf sehr gut nachvollziehbare Art und Weise: „Wenn etwas einzigartig ist und es verloren geht, dann kann man es nicht ersetzen. Dann ist es weg.“ Genau darum geht es bei Einzigartigkeit – manches gibt es nur einmal. Und vor allem, ist Einzigartigkeit häufig vom Betrachter abhängig, da manches durch die eigenen Erlebnisse, die mit einem Ort, einem Gegenstand oder einer Person verbunden werden, einzigartig oder zumindest besonders werden. Sie werden Teil der eigenen Geschichte, der eigenen (narrativ konstruierten) Identität und erhalten so ihren symbolischen Wert. Das ist bspw. ein Grund, warum Volksfeste für Außenstehende austauschbar, aber für die heimische Bevölkerung ein häufig unverzichtbarer Bestandteil des eigenen Lebens sind.
Die Tourismusfalle des Place Brandings
Die Kernherausforderungen des Place Brandings liegen in der Vielfältigkeit der Zielsetzungen begründet: Place Brands wollen attraktiv sein, für die Bevölkerung, Unternehmen, Investoren, Studierende, Arbeitnehmer oder eben Touristen. Dabei verspürt vor allem der Tourismus die höchste Dringlichkeit, nach außen kommunikativ aufzutreten. Infolgedessen werden viele Place Brands als reine Tourismusmarke „geführt“ und die Anliegen der anderen Stakeholder treten in den Hintergrund.
Sie werden zu Einzelkämpfern – z.B. Unternehmen, die um Arbeitnehmer werben (die dann meist aus der Region, von anderen ansässigen Unternehmen kommen) oder Hochschulen, die sich um Studierende bemühen. Ein Austausch zwischen den verschiedenen Stakeholdern einer Place Brand findet nicht – oder häufig nur oberflächlich, ohne ernsthaftes Interesse am gemeinsamen Diskurs und einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit – statt.
Die Tourismusgelegenheit: Place Branding in Zeiten von Instagram
Wie kann eine einzelne Brücke (oder in diesem Falle: zwei) die Basis für eine starke Place Brand sein? Im Landkreis Hof soll die längste Seilhängebrücke der Welt errichtet werden – mit einer Länge von über 1.000 Metern soll die Höllentalbrücke zum Leuchtturm werden. Diese Brücke kann aber viel mehr als nur für sich alleine stehen, an sie kann sich die Etablierung einer starken Place Brand anhängen. Denn sie wird in ihrer Länge weltweit (zumindest eine Zeitlang) einzigartig sein, wird viele Bilder in Sozialen Medien produzieren (Instagramability) – so viel ist klar. Darüber hinaus schafft dieses starke und klare Bild Erinnerungsstützen für den Naherholungswert in dieser Region. Viele Assoziationen wie Natur, Sport im Freien, die Ruhe im Wald und auch Achtsamkeit ergeben sich schlüssig und klar aus diesem Bild. Die Brücke ist in Balance – so wie sich viele Menschen auch nach Balance (Work-Life-Balance) in ihrem Leben sehnen. Damit wird auch der wahrgenommene Wert der Employer Brands in der Region gestärkt.
Die Marke wird überdies symbolisch aufgeladen – für eine Region mit Nähe zu Tschechien und direktem Anschluss an Sachsen steht diese Brücke auch für größere Ideen wie „Grenzen überwinden“ und „Aufeinander zugehen“. Dies ist vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ein weiterer Wert, der auf die Place Brand einzahlt.
Diese Seilhängebrücke ist nicht nur eine Brücke und ein Leuchtturm, nein, sie ist auch ein Magnet. Weil sie so besonders ist, wird sie überregionale Bekanntheit erfahren – Besucher werden kommen, um sich die Brücke anzusehen, Bilder zu machen und ihren Freunden davon zu erzählen. Durch das gezielte Setzen von Nudges („Stupsern“), können Besucher zusätzlich motiviert werden, Bilder zu machen und diese über Soziale Medien zu teilen – dies kann bspw. erfolgen, indem ein überlebensgroßer Bilderrahmen mit Blick auf das Höllental aufgestellt wird, der einlädt, sich hineinzustellen und sich fotografieren zu lassen. Ein passender Hashtag („#HochHinausInHof“) kann diesen Rahmen verzieren, wodurch die Instagramability erhöht und die Place Brand zusätzlich mit Bedeutung aufgeladen wird.
Zudem können im Umfeld der Brücke, entlang der Customer Journey der Besucher, viele weitere Touchpoints (= Markenkontaktpunkte) geschaffen bzw. genutzt werden, die es der Place Brand ermöglichen, gezielt weitere Botschaften an ihre Besucher zu senden: Über das weitreichende Freizeitangebot, aber vor allem: Warum diese Region nicht nur ein Ort für eine Stippvisite, sondern ein Ort zum Leben ist.
Vielleicht werden die Besucher nicht nur die Höllentalbrücke, sondern auch die Stadt Hof besuchen. Sehr wahrscheinlich werden die Besucher in Hof einen typischen Wärschtlamo („Würstchenmann“) treffen, die überall in der Stadt zu finden sind. Der Wärschtlamo hat einen Messingtopf umgeschnallt, in dem seine Würstchen verzehrfertig garen. Menschen, die Würste direkt auf der Straße verkaufen, gibt es auch andernorts – so wie bspw. in Berlin, mit umgehängten Grills auf dem Alexanderplatz. Aber in Hof sind sie besonderer Ausdruck der Kultur, stehen sinnbildlich für die Genussregion Oberfrankens und für Innovationskraft. Zudem sind sie ein Symbol des kommunikativen Austausches und wären die perfekten Markenbotschafter für die Stadt, da sie sicherlich mit vielen Besuchern in Kontakt treten und etwas Spannendes über ihre Heimat erzählen können. Etwas, das die Besucher auch ihren Freunden und Bekannten über ihren Aufenthalt in Hof berichten können.
Die Macht der gemeinsam gelebten Idee für Place Brands
Vielleicht verschlägt es die Besucher der Höllentalbrücke auch nach Bayreuth, eine Stadt, die untrennbar mit (der Marke) Richard Wagner verbunden ist. Eine Stadt, die neben dem bekannten Festspielhaus noch ein zweites Opernhaus von Weltruf ihr eigen nennen kann (Markgräfliches Opernhaus; Weltkulturerbe) – auch das ist (insbesondere in Bezug auf die Größe der Stadt) herausragend, vielleicht sogar einzigartig. Diese beiden Opernhäuser alleine sind schon ein touristisches Faustpfand. Place Brands müssen aber mehr leisten, als Touristen anzulocken. Sie müssen für eine größere Idee stehen und diese strategisch an alle Stakeholder in reproduzierbaren Kernbotschaften kommunizieren. In Bayreuth fällt daher oft der Satz: „Bayreuth ist mehr als Wagner.“ Was hängen bleibt, ist offensichtlich: Die Marke Bayreuth wird noch stärker mit Wagner verknüpft. Die Place Brand Bayreuth kann für mehr stehen als Wagner, eben indem sie die schöpferische Kraft der Marke Wagner kanalisiert und beständig mit Relevanz für ihre Zielgruppen (außerhalb des Opernpublikums) auflädt. Denn Wagner stand vor allem für eines: „Kinder, schafft Neues!“ Und Bayreuth sorgte damals dafür (z.B. in dem ihm das Gelände für den Bau des Festspielhauses geschenkt wurde), dass Wagner Raum für seinen Traum finden konnte. Diese Idee des „Raumschenkens für Neues (insbesondere Kultur)“ findet sich immer wieder in Bayreuth, könnte aber stärker forciert und vor allem strategisch kommuniziert werden. Positive Beispiele finden sich am Campus der Universität Bayreuth, wo der Botanische Garten („Unikat“) oder das Rondell („Summerfeeling“) von Studierenden zu Veranstaltungsplätzen umfunktioniert und damit Räume der Kreativität und der Begegnung geschaffen werden. Gleiches gilt für das Glashaus, das ebenfalls auf dem Campus zu finden ist – so etwas findet sich an wenigen Hochschulen in Deutschland. Ein Ort, geführt von Studierenden, in dem insbesondere junge und aufstrebende Künstler die Chance erhalten, Menschen durch Kultur zusammenzubringen (weitere Beispiele dieser Art: Studiobühne „Theater für alle“ oder die Kleinkunstbühne).
Der Förderkreis Skulpturenmeile schafft sichtbare Zeichen für die Kultur in Bayreuth, indem plastische zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum gezeigt wird (Siehe unten auch: „Murals“). Kunst zum Anfassen, für jedermann zugänglich – und damit im Kontrast zu den Sitzplätzen für die Wagner-Festspiele. Das Festival Junger Künstler Bayreuth lädt jedes Jahr internationale Nachwuchsmusiker ein, um auf verschiedenen Bühnen in Bayreuth und der Region Konzerte zu spielen. Junge Kulturmanager organisieren die Konzerte: Die enge Zusammenarbeit von jungen Künstlern und Kulturmanagern ist ein wichtiger Teil der Ausbildung. Das Festival steht damit exemplarisch für die kulturelle Offenheit und Vielfalt Bayreuths. Ein weiteres Beispiel für „Raum und Offenheit“ findet sich an einigen Häuserwänden in Bayreuth, die von international renommierten Streetart-Künstlern mit überdimensionalen Murals verziert wurden. Bayreuth ist eine Stadt, die für die große Idee der Offenheit stehen kann – und für die schöpferische Kraft der Kunst und der Kultur. Eine Idee Wagners, die weit über ihn hinausgeht, aber sich in seiner Person, seinem Festspielhaus und seiner Geschichte manifestiert und damit kommunizierbar wird. Der Place Brand muss es dabei gelingen, diese großartige Idee auf die anderen Stakeholder zu übertragen, z.B. indem auch für Familien und Unternehmen „Raum“ geschaffen wird, damit diese ihren Traum, ihre Vision Wirklichkeit werden lassen können. Darüber hinaus muss es der Place Brand gelingen, nicht Wagner, sondern die mit ihm verbundene Idee zu kommunizieren – und die geht weit über die Hochkultur hinaus, ist damit auch attraktiv für junge Menschen, die sich (so viel dürfen wir annehmen) nicht alle für Oper begeistern können. So kann Bayreuth ein Sehnsuchtsort für viele Menschen werden, die sich selbst verwirklichen wollen – also auch für Unternehmer, Fachkräfte, Gründer und Investoren. Die einzigartigen oder die besonderen Punkte einer Place Brand sind ideale Stützen, um damit eine größere Idee, eine stärkere Geschichte zu verknüpfen und damit merkfähig und erzählbar zu machen. So wie es mit Wagner und seinem Festspielhaus oder dem Glashaus am Campus der Universität Bayreuth möglich ist.
In Gesprächen mit Studierenden an der Universität Bayreuth kam es in der Phase der Masterarbeit häufig zur Frage: „Was wollen Sie nach Ihrem Abschluss machen?“ Früher kamen Antworten wie „Ich möchte in die Automobilindustrie oder Berater werden.“ In den letzten Jahren hörten wir häufig: „Ich will nach München.“ Unabhängig vom Arbeitgeber oder Job. Das zeigt, wie relevant die Place Brand für ihre Employer Brands ist – gleiches gilt natürlich auch andersherum. Wer Place Brands strategisch führen möchte, muss folglich alle Stakeholder integrieren, denn nur gemeinschaftlich ist Wachstum möglich.
So wie ein Baum nicht nur mit Sonne wachsen kann, weil er auch den Boden und den Regen benötigt. Place Brands wachsen immer von innen heraus – niemand ist wegen eines Posters zum Thema „Bei uns gibt es keinen Stau“ in eine andere Stadt gezogen. Womit wir am Anfang und somit am Ende der Geschichte wären und sich der Kreis – oder sagen wir in Bezug auf Wagner lieber: der Ring – schließt.