Fünf goldene Regeln für die kompetente Markenführung in der Corona-Krise

Heute erreichte mich eine E-Mail eines Hotels in Österreich, wo ich vor vielen Jahren einen Sommerurlaub verbracht habe. Von einer „Frühjahrspause, die eher als geplant beginnt“, ist da vage die Rede, und davon, dass man die „gesetzliche Lage“ bei aller Vorfreude auf die Sommersaison im Blick behalten möchte. Das ist ein besonders trauriges Beispiel dafür, wie Marken in der Corona-Krise nicht kommunizieren sollten: Hier wird die Krise, die die Konsumenten täglich mehr beschäftigt, schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Statt klaren Aussagen einer Marke, die Orientierung bieten, wird mit dem realitätsfernen Hinweis auf die Sommersaison bei den Konsumenten der Eindruck geweckt, dass diese Kommunikation reines Werbegewäsch ist.

In der Krisenkommunikation zeigt sich, was kompetente Markenführung ist. Ein "weiter so!" kann es nicht geben: Gut beratene Marken wissen, wann es sinnvoll ist, eine Pause einzulegen und sich in der Markenführung auf das zu konzentrieren, was wesentlich für die Konsumenten ist. Ein Schlüssel dazu ist die Klarheit in allem, was die Marke tut: Nur, wenn die Konsumenten verstehen, dass das Handeln der Marke an allen Touchpoints stimmig ist, behalten sie das Vertrauen in die Marke. Dazu kann auch das Vermeiden von Touchpoints im wahrsten Wortsinn gehören: Starbucks stellt beispielsweise komplett auf „to go“ um, um die Ansteckungsgefahr in den Coffee Shops zu verringern.

Nur eine kompetente Markenführung kann dazu beitragen, Marken sicher durch die Krise zu steuern. Aus den empirischen Befunden zu Erfolgsfaktoren im Markenmanagement lassen sich erfolgversprechende Regeln für die Markenführung in Krisenzeiten ableiten: Was ist konkret im Markenmanagement zu tun, wenn sich große gesellschaftliche Veränderungen vollziehen und die daraus entstehenden Krisen nicht nur kurzfristiger Natur sind? Auf eines ist Verlass: Die – zugegebenermaßen anspruchsvollen – Grundlagen der Entstehung von Markenwert aus Konsumentensicht ändern sich auch in der Krise nicht. Damit lassen sich fünf goldene Regeln für die strategische Markenführung in der Zeit von COVID-19 ableiten:

Regel 1: Leadership und Authentizität

Diese Regel gilt in der Krise ganz besonders: Konsumenten bewerten eine Marke danach, ob sie ehrlich kommuniziert. Unehrlichkeit oder Unklarheit führen dazu, dass die Kommunikation vom Konsumenten als Marketingtaktik abgewertet werden. Abschreckendes Beispiel sind die Werbeaussagen einiger Tourismusanbieter in Nordtirol, die noch nach dem Bekanntwerden der ersten Corona-Fälle die Gefahr kleingeredet haben. Die erste Warnung aus Island erhielt Nordtirol offenbar bereits am 5. März 2020, doch erst am 15. März 2020 wurde die Skisaison dort beendet. Die fehlende Offenheit, gepaart mit fehlender Entschlusskraft, könnte sich in den kommenden Wintersaisons rächen – wer möchte schon Urlaub machen, wo Risiken zu lange unter den Teppich gekehrt werden?

Nur Marken, die ehrlich sprechen, können selbst führen – und genau das erwarten die Konsumenten: Klare, ehrliche Ansagen anstatt Sprechblasen. Wenn Konsumenten Angst haben, dann darf man das auch ansprechen. Hamsterkäufe haben ihren Ursprung in der Angst – deshalb muss dieser Zusammenhang offen angesprochen werden und Verständnis für diese Ängste gezeigt werden, ehe die Argumente präsentiert werden, warum die Sorge grundlos ist.

Authentisch kommunizieren heißt auch, offen anzusprechen, was man weiß, und was man nicht weiß. In Zeiten der Fake News sind starke Marken Vertrauensanker, und sie können es sich leisten, ehrlich zu sagen, wenn Entwicklungen noch unsicher sind. Heute wäre es fahrlässig, wenn Marken Termine nennen, zu denen alles wieder so sein wird wie vor der Krise.

Regel 2: Sei relevant, oder sei still

Gut geführte Marken haben Pläne für die Kommunikation, die sich an den aktuellen Themen in den Medien und den Köpfen der Konsumenten orientieren. Ihre Trendradare sind gerade in Krisenzeiten besonders sensibel auf Empfang gestellt. Wer einfach weiter Markenbotschaften herausposaunt, fängt sich in den sozialen Medien schnell das „Shut up, Brand!“-Meme ein. Starke Marken verstehen, was in dieser Zeit für die Konsumenten wichtig ist. Sie haben aktuelle Customer Insights - und die Fähigkeiten, im Markt so zu agieren, dass sie diese Erkenntnisse auch umsetzen können.

Ein gutes Beispiel für Relevanz von Marken in Krisenzeiten sind aktuell Lidl und Kaufland, die auf die brennende Frage der Konsumenten nach der Versorgungssicherheit antworten: „Wir versorgen Deutschland! Wir arbeiten Tag und Nacht daran, die Versorgung für Euch in unseren rund 4.000 Filialen in ganz Deutschland sicherzustellen... Wir sind für Euch da!" Hier wird deutlich: Der Customer Insight, dass für die Konsumenten die Frage nach der Versorgung mit dem Lebensnotwendigen wichtiger ist als vieles andere (#klopapier), ist für Lidl und Kaufland wertvoll: Lidl und Kaufland haben am Markt tatsächlich die notwendigen Fähigkeiten („Market capabilities“), diese Versorgung durch entsprechende Prozessen sicherzustellen. Dadurch, und durch die tatsächlich auch nach dem Hamsterkauf-Wochenende am Montag wieder gefüllten Regale, wird diese Markenkommunikation glaubwürdig.

Hier wird deutlich, dass kompetente Markenführung weit mehr ist als nur Markenkommunikation: Die Prozesse und Fähigkeiten, zum Beispiel die Versorgungssicherheit mit Produkten und Dienstleistungen sicherzustellen, ist ein eigenständiges strategisches Asset. Nur Marken, die über solche Assets und Fähigkeiten tatsächlich auch in stürmischen Zeiten verfügen, sollten so weitreichende Aussagen treffen. Klug geführte Marken führen daher regelmäßig Stresstests durch und entwickeln Szenarien nicht nur für wahrscheinliche, sondern auch für unwahrscheinliche, aber eben doch mögliche extreme Krisen.

Und was machen Marken, die keine relevanten Botschaften zur Krise haben? Schweigen! Das nimmt in einer Zeit, in denen die Konsumenten mit anderen Dingen befasst sind, niemand übel. Diese Marken müssen nur vorbereitet sein, beim Abebben der Krise wieder Share of Voice zu gewinnen.

Regel 3: Mitarbeiterorientierung in Worten und Taten ernst nehmen

Fast jedes Unternehmen nutzt heute in der Kommunikation zur Gewinnung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Aussage, dass „die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Mittelpunkt stehen“. Eine Krise wie die Corona-Krise ist der ideale Zeitpunkt, diese Mitarbeiterorientierung tatsächlich zu leben. Konsumenten erwarten von starken Marken, dass sich die Unternehmen gerade auch um das Personal kümmern. Geschieht das glaubwürdig, sind sie bereit, auch Einschränkungen des Service zu akzeptieren. Ein denkbar schlechtes Bild liefert hier eine bekannte Haushaltsgeräte-Marke aus Deutschland ab: In einer mittlerweile wohl zurückgenommenen Anweisung an den Vertrieb hat dieses Unternehmen Vertriebskräften, die weiter bei Endkunden im Haus Produkte verkaufen, eine Sonderprämie von 50 Euro pro verkauftem Gerät ausgelobt. Diese fehlende Mitarbeiterorientierung erscheint besonders zynisch, wenn man bedenkt, dass die typischen Kunden dieses Unternehmens durch ihr hohes Alter zur Corona-Risikogruppe gehören.

Klug geführte Marken lassen nicht zu, dass sich die Krisenstimmung wie Mehltau auf das Gemüt ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter legt. Sie richten zum Beispiel virtuelle Townhall-Meetings ein, um in Zeiten des Home Offices für Gemeinschaftserlebnisse zu sorgen. Sie sorgen dafür, dass Erfolge sichtbar sind und als gemeinsame Erfolge erlebt werden können. Gerade jetzt können Marken das kundenorientierte Mindset der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärken, wenn bei allen Aktivitäten deutlich wird: Alle ziehen an einem Strang (gerade auch die Führungskräfte), es ist klar, warum wir das tun, ich kann leisten, was zu leisten ist, und bekomme dabei Unterstützung vom Unternehmen - und das richtige Handeln führt zu sichtbaren Erfolgen.

Regel 4: Die Konsumenteninnen und Konsumenten konsequent einbinden - Ko-Kreation in der Markenführung

Marken müssen im Gespräch mit den Konsumenten bleiben, wenn sie wissen möchten, welche Aspekte der Markenbedeutung in der Krise für die Konsumenten besonders relevant sind. Ford in den USA hat das erkannt und hat alle Werbespots durch eine Kampagne ersetzt, in denen Ford-Kunden Zahlungsaufschübe („Payment relief“) angeboten wird. Wichtiger noch: Die Konsumenten werden mit in die Kampagne aufgenommen, indem aufgefordert wird, sich gemeinsam daran zu erinnern, wie Ford vergangene Krisen gemeinsam mit den Konsumenten gemeistert hat.

Nicht alle Marken haben zum Beispiel über eigene Social Media-Plattformen und Foren direkt das Ohr am Kunden. Hier schlägt die Stunde der Micro-Influencer: Gut geführte Marken verfügen über ein Netz von Micro-Influencern, die in den verschiedenen Zielgruppen eine Experten- und Vertrauensposition aufgebaut haben. Sie hören am schnellsten, was von der Marke erwartet wird, und wie das Handeln der Marke ankommt. Kompetente Marken haben sich zudem Methodenkompetenz für die Auswertung solcher unstrukturierter Daten gesichert, die als „new frontier“ im Marketing gelten: Aus der Ko-Kreation mit Konsumenten können nur wertvolle Insights entstehen, wenn man die Strukturen und Bedeutungsebenen der Kommunikation mit der Marke zum Beispiel in Sozialen Medien entschlüsseln kann.

Regel 5: Als Marke Verantwortung übernehmen und großzügig handeln - aber mit Ehrlichkeit und Augenmaß!

Die Berliner Philharmoniker öffnen die Digital Concert Hall kostenlos, damit in der Zeit der Schließung der Philharmonie Klassikliebhaber eine Chance haben, Musik zu genießen. Google und Microsoft ermöglichen Unternehmen kostenlosen Zugang zu den Enterprise Conferencing Tools, um sie dabei zu unterstützen, Home Office anbieten zu können. Beide Angebote haben gemeinsam, dass ein wertvolles Produkt aus gut nachvollziehbaren Gründen kostenlos abgegeben wird: Die Marke sieht eine Verantwortung darin, den Konsumenten ein großzügiges Angebot zu machen. Damit werden sie auch dem Brand Purpose, also dem höheren Zweck, dem die Marke dienen soll, gerecht.

Aber Vorsicht: „Corona-Angebote“ schlagen erbarmungslos zurück, wenn die Konsumenten das Gefühl haben, dass es sich nur um eine Marketingtaktik handelt, die dazu auch noch eine gefährliche Krise schamlos ausnutzt. Daher kommt es darauf an, am besten in Ko-Kreation mit den Konsumenten (Regel 4!) herauszufinden, welches verantwortungsvolle Handeln der Marke über das Normalmaß als adäquat und positiv erlebt wird.

Ausblick – und ein Silberstreif am Horizont:

Wie auch immer diese Krise verlaufen wird: Sie wird die Gesellschaft verändern. Das „Back to Normal“ kann ein ganz neues „Normal“ für uns alle bedeuten. Deshalb werden sich alle Marken selbst fragen müssen, wie sie bei veränderten Werteprioritäten, veränderten Konsummustern, und Erinnerungen an durchlebte Grenzerfahrungen relevant für die Konsumenten bleiben können. In den Tagen vor der Krise wurde oft davon gesprochen, dass Marken einen „Purpose“ brauchen, also einen höheren Zweck verfolgen müssen. Welche höheren Zwecke werden nach der Krise bedeutsam sein? Klar ist: Marken, die in der Krise gezeigt haben, dass sie durch Solidarität und Empathie wichtig für die Konsumenten sind, werden es leichter haben als andere, über Produkt und Service hinaus wichtig im Leben der Konsumenten zu werden.

Ein Gutes hat die Corona-Krise vielleicht im Hinblick auf die Rezession, in die die Weltwirtschaft schlittert: Der Grund ist nicht vielschichtig und damit unklar wie in vielen früheren Abschwungphasen, sondern klar benennbar und abgrenzbar. Das könnte den entscheidenden Motivationskick geben, der uns antreibt, uns selbst auch wieder aus der Rezession herauszuarbeiten und das Terrain vom Feind Corona zurückzuerobern.

Zusammengefasst:

In der Corona-Krise werden die Marken erfolgreich sein, die weitsichtig handeln, in ihren Szenarien auch das undenkbare berücksichtigt haben und die zentralen Markenerfolgsfaktoren „Relevanz“ und „Authentizität“ im Blick behalten. Und die schweigen, wenn es nichts zu sagen gibt. Die Krise wird zudem deutlich ans Licht bringen, welche kurzfristigen Marken-Taktiken nur oberflächlich glänzen, ohne ernsthaft krisenfest zu sein.

Allen sei die notwendige Kraft und Gesundheit gewünscht, durch diese Krise zu kommen, die uns alle betrifft - Marken, vor allem aber Menschen. Lassen Sie uns alles daransetzen, dass wir gestärkt, klüger und besser vorbereitet aus dieser Zeit kommen.

Prof. Dr. Claas Christian Germelmann

Mehr Beiträge aus dem Blog zu den Themen: